Drei Spieler im Krankenhaus. Ein Verein, der einen neuen Trainer braucht. Und ein Aufstiegsanwärter TSV Bernhausen, der in einem dramatischen Finish den drohenden Verlust der Tabellenführung abwendet. Es war in der Stuttgarter Fußball-Bezirksliga erst der 18. von 30 Spieltagen, mithin noch keiner der final entscheidenden, aber doch einer, an dem manch einem nach Baldriantropfen zumute war. Zu den Gewinnern durfte sich schließlich außer den Bernhausenern auch der Letzte Spvgg Möhringen zählen, dessen Aufholjagd weitergeht – während andernorts, in Vaihingen, Sillenbuch und Rohr, die Sorgen immer größer werden.Gemeinsam hatten sie diesmal alle eines. Am Ende galt: erst einmal hinsetzen und tief Luft holen. Egal, ob oben oder unten in der Tabelle, das Dargebotene zerrte am Nervenkostüm. „In emotionaler Hinsicht schier eine Vergewaltigung“ erkannte Christopher Eisenhardt gar. Er, der Trainer des TSV Bernhausen , erhielt schon mal einen Vorgeschmack darauf, was auf seine Mannschaft im Titelrennen noch zukommen kann. Wobei: an Nervenkitzel wird der aktuelle Auftritt kaum mehr zu toppen sein. Im schweren Auswärtsspiel bei Ermis Metanastis reizten die Filderstädter die komplette Gefühlspalette aus, ehe am Ende der große Jubel stand. Den 3:2-Siegtreffer erzielte der Winterpausen-Neuzugang Ivan Matanovic in der fünften Minute der Nachspielzeit.
Es war der dramatische Schlusspunkt einer Begegnung, die aus Eisenhardts Sicht alles hatte: „Höhen, Tiefen. Frust, Freude.“ Nach einem gegnerischen Doppelschlag kurz vor der Pause hatten die Seinen bereits wie der Verlierer ausgesehen. Bis zur letzten Viertelstunde liefen sie diesem Zwei-Tore-Rückstand hinterher. Dann kam das tolle Finish und für Eisenhardt die späte Bestätigung: „Ich war mir sicher, dass die Jungs das Ding noch drehen. Ich weiß, zu was sie in der Lage sind“, sagt der Coach, der selbst maßgeblich in die Taktikkiste griff. Mit der Einwechslung von Samuel Böhmer und Labinot Zegrova bewies er ebenso ein glückliches Händchen wie mit dem Kommando an Matanovic. Jenes lautete: nun nach ganz vorn in die Spitze. Vor allem dieses Trio initiierte darauf die finale Party. Freilich: zugute kam auch, dass beim Gegner die Kräfte schwanden.
Für Matanovic standen denn seine Treffer Nummer zwei und drei im Bernhausener Trikot, als Rahmen um einen von Agonis Berisha verwandelten Handelfmeter. Zwei Abstaubertore, nix fürs Fotoalbum. Aber, so weiß Eisenhardt: „Man muss auch erst einmal an dieser richtigen Stelle stehen.“ Matanovic tut es mit seiner Erfahrung und seinem Riecher des einstigen Schützenkönigs der Liga (2019/20 für Croatia Stuttgart) und stützt somit die Erwartungen: Haben sich die Fleinsbachkicker in ihm zu einer eh schon guten Mannschaft das Pfund dazu geholt, das im Kampf um den Aufstieg zum Zünglein an der Waage wird?
Einstweilen bleibt es jedenfalls bei Platz eins und klingt Eisenhardts Einschätzung zum 27-Jährigen wie eine Drohung an die Konkurrenz: „Er kommt gerade langsam in Fahrt.“Letzteres, das mit dem Fahrwasser, gilt allerdings auch für die beiden Verfolger. Die Spvgg Cannstatt und Croatia Stuttgart siegen weiter im Gleichschritt mit. Matanovics Ex-Verein schenkte einem personell stark angeschlagenen TSV Rohr sogar ein halbes Dutzend ein. Der Tabellendritte behauptete sich an der Dürrlewangstraße mit 6:1 – strapazierte Nerven also auch dort. Doch was will man machen, wenn vom eigentlichen Kader lediglich noch neun Feldspieler zur Verfügung stehen? Im Vorfeld war es für den Trainer Fabio Lapeschi wie im Abzählreim mit den „Zehn kleinen Kinderlein“: Es wurden immer weniger. Verletzte, Kranke, Angeschlagene. Auffüllen musste er schließlich mit Aushilfen aus der zweiten Mannschaft.
Das daraus resultierende Notkonstrukt hielt eine Spielhälfte lang mit und kam durch Thomas Leimbach noch zum Ausgleichstor. Der Rest war Kollaps, spätestens mit drei Gegentreffern nach der Pause innerhalb von elf Minuten. Die bittere Zugabe: für den Youngster Kevin Petri endete der Spieltag im Krankenhaus. Er hat sich beim Sturz wohl eine Hand gebrochen.
Immerhin: „Besser diese Misere jetzt als in den Spielen gegen die direkten Konkurrenten um den Klassenverbleib“, findet Lapeschi. Auch die beiden nächsten Gegner sind aus einer Preisklasse, gegen die selbst bei Bestbesetzung eher keine Punktgewinne einzukalkulieren wären: Es sind die erwähnten Bernhausener und Cannstatter, die Führenden des Klassements.Was Hospitalbesuch und OP-Tisch anbelangt, sind die Rohrer indes nicht allein. Ihren Tabellennachbarn SV Sillenbuch erwischte es sogar doppelt. Dessen Bulletin: Verdacht auf Schlüsselbeinbruch bei Lasse Bethäuser, Gehirnerschütterung sowie Armprellung bei Niklas Gerber. Weiß man, dass auch bei den Sillenbuchern bereits zuvor SOS angesagt war, erklärt sich das Kopfschütteln. Der Lauf nimmt gerade kein Ende, dummerweise in die falsche Richtung. Nach dem 3:5 bei Beograd Stuttgart ist die Mannschaft des Trainers Zvonimir Topalusic im Jahr 2022 weiter ohne Sieg. Und da hilft es nur wenig, dass es laut Coach „vom Einsatz und vom Spielerischen eigentlich eine ganz gute Begegnung von uns war“.
Der Knackpunkt kam in der Endphase, als sich die Sillenbucher durch einen Toredoppelpack von Sascha Blessing noch einmal herangekämpft hatten – und als Fabian Schöck plötzlich die große Ausgleichschance hatte. Der 30-Jährige scheiterte jedoch, und im Gegenzug war der Ball auf der anderen Seite drin. Der Schütze, irgendwie passend zur Situation, hieß Jonas Dick und war ein eigener Mann. Ein Eigentor. Dick versenkte die Kugel beim Abwehrversuch im Netz und lässt Topalusic ächzen: „Momentan kommt halt alles zusammen.“So wie beim SV Vaihingen . Dessen Negativserie fällt noch um einiges mächtiger aus. Für die Schwarzbachkicker bedeutet das aktuelle 1:5 bei Türkspor Stuttgart die neunte Niederlage aus den vergangenen zehn Partien. Und allmählich wird es eng. Das im starken ersten Saisondrittel erspielte Punktepolster schmilzt wie Schnee in der Frühlingssonne weg. Lediglich fünf Zähler sind es noch zur Abstiegszone. Obendrein tut sich nebst allen Problemen im coronagebeutelten Kader eine weitere Baustelle auf: Der Trainer Stephan Tregel hat die Abteilungsverantwortlichen informiert, dass er zum Saisonende nach dann gut vier Amtsjahren aufhören wird. Es gibt freilich Stimmen, die munkeln, er sei dem Verein lediglich mit einer Entscheidung zuvorgekommen. Ob die Vaihinger ihrerseits hätten verlängern wollen? „Das war von unserer Seite noch ergebnisoffen“, sagt der Fußballchef Peter Breuer. Ein überzeugtes „Ja“ hätte wohl anders geklungen.
Nun soll es heißen, sich für den Endspurt noch einmal zusammenzuraufen. Dass für die zwölf ausstehenden Spiele der laufenden Runde weiter mit Tregel, ist laut Breuer „nach einem intensiven Gespräch“ wiederum der klare Plan. „Da kann ja der Trainer nichts dafür, dass uns Corona gerade böse weh tut“, sagt er – fügt allerdings auch an, dass er dies nicht als alleinige Erklärung für die Talfahrt gelten lassen mag. Zur Wahrheit gehört für Breuer auch: „Wir haben es einem Gegner erneut relativ einfach gemacht.“ Zu wenig Aggressivität, zu wenig Willenskraft. Nach dem schnellen Führungstor durch seinen Sohn Nico, der nach Vorarbeit des in die Startelf zurückgekehrten Ex-Profis Patrick Milchraum traf, gerieten die Vaihinger zum Spielball eines vor Kombinationsfreude sprühenden Gastgebers.Jener, Türkspor, ist derweil mit seiner generalüberholten Mannschaft einer der bisherigen Rückrunden-Gewinner im Tabellenkeller. Der andere, man höre und staune, heißt Spvgg Möhringen . Das vormals abgeschlagene Schlusslicht hat seine Aufholjagd auch an diesem Spieltag fortgesetzt. Mit dem 2:1-Sieg in Feuerbach ist der Anschluss zur Konkurrenz wieder hergestellt, sehr zur Freude von Sascha Gavranovic. Den Trainer mag bei seinem Amtsantritt im Oktober manch einer noch belächelt haben. Klar, arbeiten für das große Fußballwunder – was sollte er auch anderes sagen? „Mission impossible“, titelte seinerzeit unsere Zeitung.
Inzwischen lächelt und unkt keiner mehr. „Eine Topleistung von uns. Die Mannschaft hat sich gefestigt, und das Selbstvertrauen ist zurück“, sagt der Coach. Und nicht nur das: auch die Treffsicherheit. Dank dafür vor allem an einen Einsteiger, der anders als seine Vorgänger kaum etwas liegen lässt. Milan Zeljkovic, von der Resterampe von Gavranovics Ex-Verein TSV Harthausen geholt, blüht an seiner neuen Wirkungsstätte auf. In vier Spielen hat der 26-jährige Serbe bereits sechsmal eingenetzt. Auch diesmal war er wieder kühl zur Stelle und avancierte so zusammen mit seinem Teamkollegen Mikail Namdar zum Matchwinner. Letzterer beherzigte den Halbzeitpausenrat seines Trainers: „Halt doch einfach mal drauf.“ Gesagt, getan. Aus knapp 20 Metern war die Kugel drin.Dass auch Gavranovics Adrenalinspiegel dennoch hoch bleibt, liegt am nächsten Gegner: Gegen Türkspor folgt nun gleich ein weiteres Schlüsselspiel. Und allemal ein Wermutstropfen ist es, dass auch der Mitstreiter TB Untertürkheim unerwartet zu Zählbarem kam. Die Neckarstädter trotzten dem TSV Musberg auf dessen Platz ein 2:2 ab – und damit zum einzigen Filderteam der Staffel, das den Rest der Saison eigentlich entspannt angehen kann. Eigentlich. Aufstieg, Abstieg: die Musberger sind auf beiden Seiten raus. Am Leiden ist der Trainer Jaroslav Kostenko trotzdem, wenn er einen Spielverlauf wie den aktuellen sieht. So lag seine Elf gegen einen überwiegend aufs Verteidigen ausgerichteten Gegner sogar lange in Rückstand. Der Grund: zwei Stellungsfehler in der mit Sebastian Gückel und Gideon Weller abermals neu formierten Innenverteidigung.
Erst ein von Lukas Zug herausgeholter und verwandelter Elfmeter verhinderte die nächste Schlappe und zusätzlichen Nervenballast. Die Baldriantropfen wären im Musberger Fall schon in der Woche zuvor beim 0:6 in Cannstatt nötig gewesen.